Neoliberal: Warum wählen Arbeiter*innen rechts?

25. Juni 2024  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Menschen vor Profite (Die Linke)

Die neoliberalen Einsparungen in der französischen Daseinsfürsorge und das gute Abschneiden des Rassemblement National unter Arbeiter*innen sind Themen des Buchs „Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben“ von Didier Eribon. Dieses stellte der Autor in dem literarischen Format „Linksbündig“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung vor.

Von Linken enttäuscht

In der Familie von Didier Eribon habe man stets die Kommunistische Partei gewählt, erklärte der Autor. Doch dann sei seine Mutter dazu übergegangen, Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National (RN) die Stimme zu geben. Damit steht sie für 31,3 Prozent der französischen Bevölkerung, die bei der Wahl zum Europäischen Parlament für den RN votierten. „Meine Mutter war von den Linken enttäuscht“, blickte Eribon auf den politischen Wandel.

Unterbesetzte Stationen

Sinnbildlich dafür stehe das Ende der alten Frau. Als sie nicht mehr alleine leben konnten, hätten er und seine Brüder sich entschlossen, sie in ein staatliches Pflegeheim zu bringen. „Sieben Wochen später war sie tot“, sagte er. Die Heimleiterin habe ihm auf Nachfrage erklärt, dass zum Duschen der motorisch beeinträchtigten Bewohnerin zwei Pflegekräfte notwendig seien – Personal, das sie nicht auf der Station habe. Deswegen hätte man seine Mutter nur einmal in der Woche duschen können.

Rendite mit Pflegefällen

Nach dem Tod der Mutter recherchierte Eribon zum Pflegewesen in Frankreich und stieß auf einen Journalisten, der ein privates Pflegeheim in Paris unter die Lupe genommen habe. „Ein Platz kostet im Monat bis zu 12.000 Euro“, beschreibt der Schriftsteller die Preisklasse. Doch wären dort trotz der hohen Bezahlung die Windeln der inkontinenten Bewohner*innen nur einmal am Tag gewechselt geworden. Das habe ihm die Profitmaximierung solcher Konzerne vor Augen geführt. „Noch heute bekomme ich Werbe-Mails, in denen mir bei Geldanlagen in Pflegeheime 5 bis 6 Prozent Rendite versprochen werden“, erläuterte er.

Ein Leben in Armut

Mit 14 Jahren habe seine Mutter als Putzhilfe angefangen zu arbeiten und mit 20 einen Mann geheiratet, von dem sie seither finanziell abhängig war. „Zum Schulanfang mussten wir ein Darlehen aufnehmen, um mir und meinen Geschwistern neue Kleidung kaufen zu können“, beschrieb Eribon die finanzielle Situation zu Hause. Nach der Arbeitslosigkeit des Ehemannes sei seine Mutter um 5 Uhr aufgestanden, um in der Fabrik zu arbeiten – 15 Jahre lang. „Das Buch ,Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben‘ ist ein Porträt einer sozialen Klasse am Beispiel meiner Mutter“, verrät er. Für Freiheit hätte man Geld gebraucht – Geld, das seine Familie nicht hatte.

Staat streicht Infrastruktur

„Sie hat sich an Streiks beteiligt und regelmäßig links gewählt“, schilderte er ihr politisches Verhalten im Betrieb und bei Wahlen. Doch dann wurden die Rechte der Arbeiter*innen unter linken Regierungen – der Sozialistischen Partei Frankreichs – immer mehr ausgehöhlt und öffentliche Dienstleistungen wie Gesundheit, Verkehr oder Wohnungen zusammengestrichen. „Da wählte sie dann Le Pen“, skizzierte der Sohn die Reaktion der enttäuschten Mutter. Ähnliches sei auch in Großbritannien zu beobachten gewesen, wo ehemals linke Arbeiter*innen-Hochburgen für den Brexit stimmten.

Feindbild Migration

Doch unter der liberalen Regierung Emmanuel Macrons verschlechterte sich die Situation nur noch weiter. „Als die Menschen gegen seine neoliberale Rentenreform protestierten, wurden sie von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen beschossen“, erinnerte Eribon an die damaligen Fernsehbilder. Die Erhöhung des Rentenalters führe dazu, dass viele Menschen sterben, so dass sie die Auszahlungen gar nicht mehr in Anspruch nehmen könnten, so die Prognose des Autors. Und dieser Frust, das Gefühl, nicht beachtet zu werden, habe zur Folge, dass sich Menschen gegen Migrant*innen, Frauen und trans Personen wandten und den Versprechen der Rechten glaubten.

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