Israel am Scheideweg

17. Juli 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Demonstrationen in Kfar Saba gegen die geplante Justizreform, 16.3.2023 (Omer Toledano, CC BY-SA 4.0)

Die Hoffnung auf einen sozialistischen Zionismus, der die ausgrenzende Politik Netanjahus beendet, ist der Wunsch von Moshe Zimmermann. Er sprach bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung über sein Buch „Niemals Frieden? Israel am Scheideweg“.

Herrschaft der Mehrheit

„Die rechtsextreme Regierung will die Demokratie in Israel unterminieren“, erklärte der Historiker Moshe Zimmermann. Die Justizreform habe das Ziel, die Demokratie in eine Ochlokratie umzuwandeln – demzufolge könne die Regierungskoalition mit ihrer Mehrheit, die nationalistisch, rechtsradikal bis -extrem und religiös-fundamentalistisch sei, alles tun, ohne politische oder juristische Kritik befürchten zu müssen. In diesem Szenario gälte Gewaltenteilung, Minderheitenschutz sowie Bürger- und Menschenrechte als überholt. „Der Staat darf sich auf Kosten der Palästinenser*innen ausdehnen“, beschrieb er eine territoriale Konsequenz.

Nationalismus statt Sozialismus

Dass die Netanjahu-Regierung diese Agenda unter dem Schlagwort „Zionismus“ propagiere, fand er falsch. Seinen Ursprung hat der Zionismus im 19. Jahrhundert als Reaktion auf den europäischen Antisemitismus, der sich trotz Assimilation und Emanzipation jüdischer Bürger*innen gegen diese richtete. Der Zionismus entstand 1897 als bürgerliche Bewegung, die einen eigenen Staat forderte, der die Sicherheit der dort lebenden Menschen gewährleistete. „Der Sozialismus bildete von 1948 bis 1977 die stärkste Fraktion“, erinnerte Zimmermann jedoch an die tonangebende Strömung. Erst nach diesen drei Jahrzehnten setze sich ein nationalistisches Paradigma durch, das man auch bei der aktuellen Regierung wiederfinde.

Minderheitenrechte gewährleisten

1947 hatten die Vereinten Nationen eine Zwei-Staaten-Lösung beschlossen. Dafür müsste das Recht auf nationale Selbstbestimmung jedoch auf beiden Seiten anerkannt und ein Staat für Jüd*innen und Araber*innen akzeptiert werden. Dieses Ziel sei auch 1993 vorherrschend gewesen, als Israel mit der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) unter Jassir Arafat ein Abkommen unterzeichnete. „In Belgien leben Deutsche als nationale Minderheit – ebenso Dän*innen in Schleswig-Holstein“, nannte der Historiker Beispiele für nationalen Pluralismus. Auch könnten Nationalstaaten, wie etwa beim EU-Recht, auf Teile ihrer Rechtsprechung verzichten, wenn es sich um eine größere Ordnung handele. Dies könne man auch bei einer israelisch-palästinensischen Lösung in Betracht ziehen.

Eine problematische Regierung

„Jüdische Siedler*innen im Westjordanland könnten genauso als Minderheit im Staat Palästina akzeptiert werden wie aktuell in Israel lebende Araber*innen“, gab er einen Ausblick. Allerdings müsste die jüdische Minderheit dann auch die palästinensische Staatsbürgerschaft annehmen, gab er zu bedenken. Schwierig sei darüber hinaus, dass die israelische Regierung jeglichen außenpolitischen Druck anderer Staaten hinsichtlich einer Zwei-Staaten-Lösung stets als antisemitisches Verhalten interpretiere.

Frieden durch Zusammenarbeit

So hatte sich die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 für Sicherheit im Nahen Osten durch einen Frieden zwischen Israelis und Palästinenser*innen ausgesprochen. Dafür brauche es jedoch keine immerwährende Aufrüstung, sondern konstruktive Zusammenarbeit. „In Deutschland interpretierte man ihre Aussage zur ,deutschen Staatsräson‘ jedoch so, als ob die Bundesregierung blind jede israelische Politik unterstützen müsse“, kritisierte Zimmermann. Entgegen dieser Rede habe es die deutsche Staatsführung jedoch seither an deutlichen Worten fehlen lassen, die einen solchen Prozess der Zusammenarbeit in Gang hätten setzen können.

Feindschaft überwinden

Doch je länger der Gaza-Krieg dauere, desto lauter würden die israelischen Stimmen gegen den Militäreinsatz. Denn nach neun Monaten sei immer noch kein Sieg in Sicht – und das, obwohl 300.000 Reservist*innen eingezogen worden sind. Seit dieser Zeit können auch rund 100.000 Menschen in den Grenzgebieten wegen der Kämpfe nicht mehr in ihre Häuser. Für Zimmermann steht Israel an einem Scheideweg. Entweder könne sich das Land in einen völkisch-nationalistischen und rassistischen Staat entwickeln oder die ursprüngliche Idee des Zionismus setze sich erneut durch. „Die europäische Geschichte hat gezeigt, dass extreme Feindschaften zwischen Nationen überwunden werden können“, gab er seiner Hoffnung Ausdruck.

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