Kolonialismus – bis heute?

28. August 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Kwame Nkrumah auf dem Cover des Time-Magazines, 1953 (Boris Chaliapin – Time Magazine, gemeinfrei)

Der Aufstieg und Fall des ersten ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah versinnbildlicht für die Politikwissenschaftlerin Adom Getachew das Dilemma des Antikolonialismus. Sie stellte ihr Buch „Die Welt nach den Imperien. Aufstieg und Niedergang der postkolonialen Selbstbestimmung“ im Gespräch mit dem Schweizer Radio und Fernsehen vor.

Koloniale Teatime

Die Postcolonial Studies hinterfragen die Verflechtungen von Metropole und Kolonie, die auf kultureller, wirtschaftlicher und politischer Ebene existieren. „Die ,Teatime‘ wird als etwas genuin britisches gesehen, obwohl es in Großbritannien weder Tee noch Zucker gibt“, erklärte Adom Getachew. Beides stammte aus Kolonien in Indien oder der Karibik. Imperiale Bestrebungen gab es mit den Fahrten Christoph Columbus nach Amerika schon seit dem 15. Jahrhundert, wobei der Höhepunkt um 1914 festzustellen ist.

Eine afrikanische Föderation

Der Einmarsch der US-Army in Afghanistan (2001) und den Irak (2003) nach den Anschlägen auf das World Trade Center an 9/11 führten Getachew zufolge zu einem neuen Diskurs über das Imperium. Mit der Unabhängigkeit Ghanas 1957 als erste schwarze Kolonie vom Britischen Empire wurde das Ende der früheren Kolonialmächte eingeleitet. „Für Präsident Kwame Nkrumah konnte dies nur der erste Schritt hin zu einer afrikanischen Föderation sein“, erläuterte die Professorin die internationalistische Perspektive des Politikers.

Abhängigkeit vom Freien Markt

1960 verabschiedeten die Vereinten Nationen schließlich die UN-Resolution 1514 (Entkolonialisierungsresolution), in der die Unabhängigkeit kolonialer Völker erklärt wurde. Demnach wurde allen Völkern das Recht auf Selbstbestimmung zugesprochen. Doch trotz formaler Unabhängigkeit wirkten neokoloniale Abhängigkeiten weiter fort. „Die einstigen Kolonien waren stark vom internationalen Markt samt Devisen und Wechselkursen abhängig“, beschrieb Getachew ein Problem der agrarisch geprägten Gebiete.

Ungleichheit und Repression

Stattdessen müssten sich die industriellen Länder des Nordens für die landwirtschaftlichen Produkte des Globalen Südens öffnen, lautete eine Forderung. Durch die Zusicherung fester Preise auf dem Weltmarkt solle so Gleichheit geschaffen werden, wo zuvor ungleiche Beziehungen zwischen den Staaten bestanden. Doch neben der fortbestehenden wirtschaftlichen Ungerechtigkeit kam auch Repression im Inneren. „Nkrumah wurde 1966 vom Militär abgesetzt – da war Ghana jedoch kurz davor, zu einem Polizeistaat zu werden“, sprach die Wissenschaftlerin ein innenpolitisches Problem an.

Staat statt Menschen

Formal sollten die Menschen sich aufgrund der Volkssouveränität selbst regieren, doch galt der Staat als Treiber von Modernisierung, da das eigene Volk als rückständig und ungebildet angesehen wurde. „Abweichende Meinungen wertete man in einer Art Paranoia im Zuge des Kalten Krieges als von außen gelenkte Kräfte“, kritisierte sie. Diese Sichtweise verstärkte den Repressionscharakter des Staates um ein Vielfaches. Dies führte zu einer großen Zahl blutiger Bürgerkriege, etwa im Kongo, dem Sudan, in Nigeria oder Äthiopien.

Selbstverwaltung und Pluralität

„Welchen Respekt vor ethnischen, religiösen und sprachlichen Unterschieden braucht es, damit sich die verschiedenen Volksgruppen als Teil einer gemeinsamen Nation sehen?“, fragte Getachew. Wie könne man mittels Dezentralisierung eine Selbstverwaltung auf lokaler Ebene ermöglichen? Zugleich müssten auch die Beziehungen zwischen der Zivilgesellschaft und den politischen Eliten geändert werde. „In Nigeria wurde ein 80-jähriger Präsident gewählt, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung unter 30 Jahren alt ist“, machte sie auf Unterschiede von Regierung und Gesellschaft aufmerksam.

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