Ukraine: Frieden schaffen ohne Waffen?

20. August 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Ein von der Nationalen Nachrichtenagentur der Ukraine veröffentlichtes Video zeigt Zivilisten in Butscha, die von russischen Soldaten ermordet wurden. (Ukrinform TV, CC BY 3.0)

Das Dilemma, zivile Rechtsprechung mit militärischen Mitteln durchzusetzen sowie die Gefahr für Friedensaktivist*innen in Krisengebieten waren Thema bei dem Gespräch „Ukrainekrieg: Frieden schaffen ohne Waffen“. Dieses wurde vom Schweizer Radio und Fernsehen organisiert.

Krieg für zivile Konfliktlösung?

Für die Friedensforscherin Lea Suter ist es wichtig, die Institution „Krieg“ zu überwinden. „Das Ziel ist eine Welt ohne Krieg“, beschrieb sie die Konsequenzen ihrer Friedenshaltung. Aus dem ethischen Pazifismus heraus sei eine militärische Intervention jedoch denkbar, wenn diese dem Erhalt des Völkerrechts, das sich der zivilen Konfliktlösung verschreibt, dient. Auch solle man sich mit der ukrainischen Friedensbewegung solidarisieren, die sich für einen Waffenstillstand und Verhandlungen einsetzt.

Verantwortliche vor Gericht

Dies führe jedoch auch zu einem Dilemma, da die militärische Verteidigung des Völkerrechts zur Folge habe, dass durch die Kriegsführung die Menschenwürde eingeschränkt werde. „Statt der politischen Entscheidungsträgerinnen müssen im Krieg einfache Soldatinnen mit ihrem Leben bezahlen“, kritisierte sie. Wenn der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag die Möglichkeit habe, Russlands Präsidenten Wladimir Putin wegen begangener Kriegsverbrechen als Verantwortlichen zu verurteilen, solle man diese Chance nutzen. Deshalb müssten Kriegsverbrechen in den Konfliktgebieten auch genauestens dokumentiert werden.

Bush und Putin auf die Anklagebank

„Doppelte Standards schwächen das Völkerrecht“, wandte Suter mit Blick auf den 2003 geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA gegen den Irak. „Die Verantwortlichen der Vereinigten Staaten müssten ebenso zur Rechenschaft gezogen werden wie die Führung der Russischen Föderation“, forderte sie. Ihr Anliegen sei, Konfliktparteien zu bestärken, aus dem Krieg auszutreten. „Es gibt Gespräche und den Austausch von Gefangenen“, sprach sie kleine Schritte auf diesem großen Weg an.

Morddrohungen für Friedensarbeit

Suter, die drei Jahre lang Koordinatorin der Kulturabteilung der UNO in Genf war, besuchte in ihrem Projekt „Peaceprints“ zwölf Friedensaktivist*innen, die sich für Verständigung und Gesprächsräume zwischen den verfeindeten Fraktionen einsetzten. „Das Ziel muss sein, den Menschen Wege aus der Gewaltspirale aufzuzeigen“, beschrieb sie das Engagement der Menschen aus dem Donbass, Irak, Ruanda oder Vietnam. Für ihre Arbeit erhielten sie Morddrohungen, schilderte sie deren Situation. „Frieden muss ein ständiges Thema sein, um Kriege zu verhindern“, brachte sie ihre Erfahrungen in Anlehnung an die UNO-Sicherheitsresolution „Sustaining Peace“ (2016) auf den Punkt.

Vernichtung der Ukraine?

Der Schriftsteller Jonas Lüscher knüpfte daran an. „Geschichten müssen den Krieg zeigen wie er ist – Leid, Traumatisierung, Zerstörung und Tod“, sagte er. Diese schrecklichen Erfahrungen würden von Generation zu Generation weitergegeben. „Ich denke, wir alle wollen Frieden, sind uns aber darin uneinig, was zu einem baldigen Frieden führt“, gab er zu bedenken. Denn im schlechtesten Falle könne die Eroberung der Ukraine durch russische Truppen den Krieg zwar beenden, aber auch die Vernichtung der ukrainischen Kultur und geistige Umerziehung der Bürger*innen bedeuten.

Mussolini, Hitler, Putin

Mit der Schlussakte von Helsinki (1975) hatten 35 Staaten die Unverletzlichkeit von Grenzen bestätigt. Sollte Putin dank seines Militärs die ukrainischen Gebiete Donbass und Krim für Russland annektieren, könnte dies Vorbild für andere autoritäre Machthaber sein. „Dann gilt nicht mehr das Völkerrecht, sondern das Recht des Stärkeren“, veranschaulichte er die Folgen eines solchen Dammbruchs. Und zog einen historischen Vergleich. 1931 überfiel Japan das Völkerbund-Mitglied China und annektierte die Mandschurei. Eine Reaktion der Weltgemeinschaft blieb aus. „So fühlte sich Benito Mussolini bekräftigt, 1935 das Völkerbund-Mitglied Abessinien anzugreifen“, erläuterte er. Dabei setzte der Faschistenführer im heutigen Äthiopien auch Giftgas ein. Und kurze Zeit später verabschiedete sich Adolf Hitler von den Friedensverhandlungen in Genf und marschierte in das entmilitarisierte Rheinland ein.

Frieden durch Krieg?

Einen Frieden zwischen Russinnen und Ukrainerinnen während der Regentschaft Putins sieht Lüscher als unrealistisch an. So sei die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich auch erst nach der Niederlage der nationalsozialistischen Regierung möglich gewesen. „Frieden wird nur dann kommen, wenn die Ukraine noch fähig ist, diesen Krieg weiterzuführen“, sprach er sich für weitere Waffenlieferungen aus. Denn Putin würde sich nicht durch gutes Zureden an den Verhandlungstisch setzen. „Wer würde unter solch einem Frieden leiden?“, rief er die Folgen eines russischen Sieges für die ukrainische Bevölkerung in Erinnerung.

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