Armutszeugnis: Wohnungskrise

20. Juni 2024  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Die Krise des sozialen Wohnungsbaus als Folge unionsgeführter Neoliberalisierung und rot-grüner Steuerreformen war Schwerpunkt der 4. Folge von „Armutszeugnis“, dem Wirtschaftspodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS).

Die Bodenpreise steigen

Bundesweit fehlen rund 1,5 Millionen Wohnungen. In Berlin haben sich die Mieten in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. „Im Vergleich zum Vorjahr ist bei Neuvermietungen eine Preissteigerung von 18,3 Prozent festzustellen“, erläuterte Sabine Nuss die Situation in der Hauptstadt. Neben bebauten Flächen in Städten und Dörfer gibt es neben Ackerland auch Gebiete auf dem Land, die für Windkraftanlagen vorgesehen sind. Darüber hinaus existiert unbebautes Land, so genanntes Bauland, dessen Preis bundesweit jährlich um 9 Prozent steigt, in Berlin sogar um ein Fünffaches.

Boden sorgt für Rendite

Während persönliches Eigentum an Dingen dazu dient, diese zu benutzen oder zu verkonsumieren, zielt die private Verfügung von Boden darauf ab, Rendite daraus zu ziehen. Im auf Eigentum basierenden Kapitalismus ist die Investition Boden neben Unternehmensgründungen oder der Kauf von Aktien oder fest verzinsten Wertpapieren eine Möglichkeit, sein Geld anzulegen und zu vermehren. „Menschen, denen der Boden gehört, können andere an dessen Betreten hindern“, hielt Nuss fest. Somit sei es in der aktuellen Gesetzgebung rechtens, wenn Leerstand von Immobilien neben Wohnungsnot existiere.

Keine Gemeinnützigkeit mehr

Herrschte in der Nachkriegsgesellschaft ein wohnungspolitischer Konsens der staatlichen Förderung, änderte sich dies Anfang der 80er Jahre unter Helmut Kohl (CDU). So wurde in einem neoliberalen Kurswechsel die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft. Diese hatte für gut vier Millionen Wohnungen festgelegt, dass sich die Miethöhe an den realen Kosten orientieren musste, Mieten selbst gedeckelt wurden und Überschüsse erneut in den Bau neuer Wohnungen fließen mussten. Nach dem Wegfall dieser Gesetzgebung wurden große kommunale Wohneinheiten zerschlagen und privatisiert. „Auf dem Papier hat sich die Ampel-Regierung zur Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit bekannt“, verwies die ehemalige Geschäftsführerin des Karl Dietz Verlags auf den Koalitionsvertrag.

Abhängigkeit und Ausbeutung

Unter der Regierung Gerhard Schröders (SPD) kam es 2000 schließlich zu einer Steuerreform, die dazu führte, dass deutsche Kapitalgesellschaften seitdem beim Verkauf von Aktienpaketen keine Steuern mehr auf ihre Gewinne zahlen müssen. Dies führte dazu, dass Finanzinvestor*innen massiv Boden kauften, um ihn nach einigen Jahren zu einem deutlich höheren Preis weiterzuverkaufen. „Einigen Menschen gehört der Boden, auf den unzählige andere zum Leben angewiesen sind“, fasste Nuss das System von Abhängigkeit und Machtstrukturen zusammen, das zu ständigen Preissteigerungen führt.

Wenigen gehört viel

In Berlin gehören 17 Prozent der etwa 2 Millionen Wohnungen Finanzmarkt-Investor*innen oder börsennotierten Wohnungsunternehmen. 40 Prozent gehören großen Immobilienbesitzer*innen mit mehr als sieben Wohnungen. Obwohl die maximalen Mietausgaben bei 30 Prozent des Einkommens liegen sollten, wird diese Grenze von 40 Prozent der von Armut betroffenen Haushalte überschritten, warnte Nuss. In diesem Fall zahle der Staat im Rahmen von „Wohngeld Plus“ zwar die Differenz an die Vermieter*in, doch werde so der Mietenwucher mit Steuergeldern subventioniert.

Aktive Kommunen helfen

Der frühere Bundesbauminister Hans Joachim Vogel (SPD) hatte gefordert, dass Kommunen ihre Flächen nicht mehr an Private verkaufen, sondern nur mittels Erbpacht an Wohnungsgenossenschaften übereignen sollten. Auch müssten Bodengewinne abgeschöpft werden, um wieder der Allgemeinheit zugute zu kommen. „In Ulm gehören 30 Prozent der Fläche der Kommune“, erläuterte Eva Völpel, RLS-Referentin für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Denn dort würde die öffentliche Hand seit Jahrzehnten Gebiete aufkaufen, um so günstigen Wohnungsbau zu ermöglichen. Werde doch einmal an Private veräußert, dürften diese das Grundstück später nur zum gleichen Preis an die Kommune zurückverkaufen. „So wird Bodenspekulation verhindert“, lobte Völpel die Regulierung.

Teufelskreis Rentenfond

In Deutschland gibt es rund 41 Millionen Haushalte, von denen 3,9 Millionen ihre Einkünfte durch die Vermietung von 14,5 Millionen Wohnungen beziehen. „Vermieter*innen haben ein doppelt so hohes Einkommen wie ihre Mieter*innen“, betonte Nuss die Chancenungleichheit beim Aufbau von Vermögen. Doch seien wegen der Teilprivatisierten Rente viele Vermieter*innen auf die Einnahmen als Alterssicherung angewiesen. „Eine Mieterin bei Vonovia investierte über ihre Riester-Rente in den Wohnungskonzern, der wegen der notwendigen Rendite ihre Miete erhöhte“, schilderte sie die Zusammenhänge von Privatisierung und steigenden Mietkosten.

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